06/09/2023

Das Geräusch der Entstehung der Welt: Wenn man Pilzen zuhört

„Phototropic Response“, on Worlding: Sympoetic Mycology (Canada: No Type, 2022) by Eryk Salvaggio.

Pilze sind Agenten der Vernetzung. Mykorrhizapilze verbinden sich mit den Wurzeln von Pflanzen und treten in symbiotische Beziehungen miteinander. Der Künstler und Forscher Eryk Salvaggio wurde Teil einer solchen Symbiose, indem er diese Verwurzelung durch Kabel verlängert und die Kommunikation der Pilze in den Schaltkreis eines analogen Synthesisers eingebunden hat. Aus diesen Aufnahmen kommunizierender Austernpilze ist das Album Worlding: Sympoetic Mycology (Canada: No Type) entstanden.

Als Körper ohne Mittelpunkt organisieren Mykorrhiza-Netzwerke ihr Verhalten durch Kommunikation. Austernpilze zum Beispiel kommunizieren durch kleine Spannungssteigerungen, die Signale durch das Netzwerk weiterleiten. Dr. Andrew Adamatzky, der Direktor des ‘unkonventionellen Computerlabors’ an der West of England Universität in Bristol, hat fünfzig unterschiedliche Spannungsmuster identifiziert, die gleich bleiben, wenn der Pilz ähnliche Impulse erfährt. Das sind zum Beispiel bestimmte Muster als Antwort auf Salz, Hitze und Licht, die anders sind, als sie in anderen Pflanzen beobachtet wurden, und auch anders als die elektromagnetischen Felder, die von den meisten Objekten erzeugt werden. Der Hauptunterschied besteht in einer grammatikalischen Organisation dieser Ströme, ähnlich wie bei einer Sprache. Diese Spannungen wiederholen sich in vertrauten Mustern und funktionieren wie Wörter.

Worlding ist eine Serie musikalischer Kompositionen, die durch eine Verbindung dieser internen Kommunikationsmuster von Austernpilzen mit einem analogen, modularen Synthesizer entstanden sind. Pilze sind weitläufige Körper – die Hüte, die aus dem Boden auftauchen, sind nur Ausläufer ihrer weitläufigen, unterirdischen, erforschenden Netzwerke. Das Geflecht sucht nach Essen, angenehmen Lichtbedingungen und zieht sich von schädlichen Einflüssen zurück. Es transportiert Nährstoffe von einer Region in die andere und vernetzt sich dabei mit den Wurzeln von Pflanzen und Bäumen.

Der Titel bezieht sich auf ein Konzept, das am besten in einem Essay von Helen Palmer und Vicky Hunter definiert wird, was auf einer Zusammenfassung von Kathleen Stewart beruht. Sie bezeichnet ‘worlding’ als die Emotionalität der Welt, in der nicht-menschliche Wirkungskräfte wie Formen, Rhythmen und Refrains für ein anderes Individuum Ausdruck erreichen und lesbar werden. Durch diesen Prozess der Verbindung mit mehreren zusammenhängenden Phänomenen entsteht für dieses Individuum eine Welt.

Wenn man nun dieses Netzwerk um Kabel erweitert und die Spannung der Pilze in den Schaltkreis des analogen Synthesizers einbindet, kann man diese Entstehung einer Welt aufzeichnen. Die Signale der Pilze werden je nach Stärke in tief, mitteltief, mittelhoch und hoch eingeteilt. Jedes Signal folgt dann einem anderen Pfad aus Kabeln in den Synthesizer und definiert so die Form, Töne und den Rhythmus der Geräusche, die dabei herauskommen. Der Anschluss des Pilznetzwerks an den Schaltkreis des Synthesisers verbindet die zwei. Ich bereite die Strukturen, durch die die Signale fließen, und trete beiseite. Die Geräuschkulisse verändert sich mit dem Wachstum und Verwelken der Pilze.

The emergent sound of worlding. Foto: Eryk Salvaggio

Die Aufnahmen verschiedener Teststrukturen für diese Klangwelt wurden unter dem Titel „Worlding: Sympoietic Mycology“ bei dem kanadischen Musiklabel No Type veröffentlicht. Foto von Eryk Salvaggio.

 Der Emergent Sound of Worlding im MSU Science Museum. Foto von Mark Sullivan.

Dieses Experiment war Teil des Designprozesses für die Kunst- und Wissenschaftsausstellung 1.5 Degrees Celsius im Michigan State University Science Museum and Collaboratory. Es wurde gemeinsam mit Claudia Westermann und Vinny Montag an der Xi’an Jiaotong-Liverpool University entwickelt. Foto von Mark Sullivan.

Kommuniziert der Austernpilz mit uns?

Ist diese Verbindung zwischen Pilz und Kabel eine Verlängerung des Signals oder nur eine künstliche Verstärkung? Fragen wie diese sind der Grund dafür, Verflechtung als Designprozess auszuprobieren. Anstatt Probleme zu lösen, konzipieren wir etwas, das neue Fragen und Ansichten über die Beziehung zwischen menschlichen und anderen Intelligenzen aufwirft. Der Designer geht in diesem Geflecht verloren. Ich höre die Musik und durch ihren Rhythmus, das Brummen und die Melodien fühle ich plötzlich so etwas wie Mitgefühl mit dieser unterirdischen, stillen und oft vernachlässigten Spezies. Was bedeutet die Musik der Pilze? Die Rhythmen der Pilze wandern umher. Die Melodien sind suchend, aber zugänglich. Sie wechseln zwischen ruhig und überschwänglich, je nach Lebenszyklus und Umwelteinfluss. Die Aufnahmen, bei denen die Pilze an einem trockenen Tag mit frischem Wasser besprüht werden, haben eine gewisse Ruhe an sich. Es ist auch ruhig, wenn ich meine Hand sanft auf ihren Hut lege, und das elektrische Feld meines Körpers durch sie durchfließt. Eine noch innigere Verbindung mit diesem elektronisch vernetzten Ökosystem. Wenn sich neue, klitzekleine Körper aus der Unterwelt erheben, klingt das dicht, lebendig. Ein starkes Signal treibt die Schaltplatten in schnelle, zyklische Rhythmen, die pulsieren und pochen wie Dance-Musik, die an der hohen Verzerrung bricht. Am Ende ihres Lebens nimmt der elektrische Strom ab. Die Synthesiser produzieren ein Brummen, ein leichtes, elektrisches Summen, das mich betäubt, während die Pilze schwinden.

Das ist meine subjektive Interpretation und Analyse dessen, was vielleicht eine zufällige statische Ladung der Module ist, die die Elektrizität in Geräusche umwandeln sollen. Aber jede Kommunikation ist Interpretation. Worte sind Gesten, die Ideen andeuten. Du liest das vielleicht in Englisch, wie ich es beabsichtigt habe, oder auf Deutsch interpretiert. Die Worte sehen nicht gleich aus und haben auch nicht dieselben semantischen Assoziationen. In beiden Sprachen bin ich durch die Auswahl der mir zur Verfügung stehenden Wörter und durch die Grenzen meiner eigenen Fähigkeit, die passenden Worte zu finden, um etwas auszudrücken, eingeschränkt.

Musik schafft einen Raum, in dem wir uns mit der Mehrdeutigkeit der Sprache der Pilze auseinandersetzen und uns durch das Zuhören selbst damit verbinden können. George Saunders schreibt, dass jede Seele riesig ist und sich selbst verwirklichen will. Wenn ihr ein angemessenes Instrument untersagt wird (uns allen wird ein solches von Geburt an untersagt, manchen mehr, manchen weniger) entsteht dadurch Poesie. Die Wahrheit kommt durch eine begrenzte Öffnung heraus. Wir werfen uns an den Zaun der Sprache und Gedichte sind die daraus resultierenden Wölbungen am Zaun. Es ist unmöglich, sich sicher zu sein, ob die Musik einen Eindruck an der Grenze zwischen menschlicher und nichtmenschlicher Kommunikation hinterlässt. Die Musik ist ein Versuch: der Synthesizer ist ein Zaun, durch den sich der Pilz drängen kann. Ich habe das Gerüst für die Musik bereitgestellt und bin dadurch eine Beziehung mit dem Pilz eingegangen. Alles Andere ist offen für Interpretationen.

AAls ich mit diesen Aufnahmen fertig war, fragte ich mich, ob die ganze Welt mit uns spricht und uns antwortet. Durch Lautsprecher in der Erde könnte etwas Wundervolles und Einzigartiges entstehen, wenn wir nur zuhören wollten.

Adamatzky, A. (2022) Language of fungi derived from their electrical spiking activity. Royal Society.

Palmer, H. & Hunter, V. (2018) Worlding. In New Materialism: How Matter Comes to Matter.

Saunders, G. (2021) A Swim in a Pond in the Rain. Random House. p.287

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Eryk Salvaggio

Eryk Salvaggio

Eryk Salvaggio ist ein unabhängiger Forscher und Künstler. Er lebt in Rochester, NY.

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